1. Die Förderung der phonologischen Bewusstheit im Kindergarten und in Vorschulen

 

1.1 Allgemeines zur Förderung im Kindergarten

1.2 Zum Einsatz der Trainingsprogramme

1.3 Modellprojekte und Beurteilungen

 

Zielsetzung

Das Würzburger Trainingsprogramm zur phonologischen Bewusstheit (und auch das Sprachprogramm zur Buchstaben – Laut – Verknüpfung) sind zunächst einmal zur normalen spielerischen Entwicklungsförderung für alle Vorschulkinder geeignet.
Insbesondere ist eine Förderung mit den Trainingsprogrammen angeraten bei Kindern mit Defiziten in phonologischer Bewusstheit, die gefährdet sind, eine Lese-Rechtschreib-Schwäche auszubilden. Solche Kinder, die Schwierigkeiten mit dem genauen Hinhören auf Sprache und im kreativen, analysierenden Umgang mit Sprache haben, fallen Erzieherinnen schon im alltäglichen Umgang auf. Es sind die Kinder, die nicht reimen können, die Schwierigkeiten haben, Wörter in Silben zu zerlegen und die prinzipiell Schwierigkeiten haben, sich auf die klanglichen Einzelheiten der gesprochenen Sprache zu konzentrieren.
Es ist noch einmal zu betonen, dass es bei den Trainingsprogrammen keineswegs darum geht, schulische Inhalte in den Kindergarten vorzuverlagern! Die Kinder lernen nicht Lesen und Schreiben, sondern sie üben in spielerischer Weise die wichtigste Vorläuferfertigkeit, so dass sie dann gut auf das Lesen- und Schreibenlernen in der Schule vorbereitet sind.


 

Die Bedeutung der frühen Prävention von Lese- Rechtschreibproblemen

In den letzten Jahren wird auch von in der Praxis tätigen Personen und Institutionen in zunehmendem Maße die Bedeutung der Frühförderung im sprachlichen Bereich wahrgenommen. Für die Bedeutung präventiver Maßnahmen im Vorschulbereich sprechen u.a. die folgenden Überlegungen (vgl. Christiansen, 1999, S. 4):

  • Beeinträchtigungen der phonologischen Bewusstheit können leichter und schneller abgebaut werden als eine voll entwickelte Lese-Rechtschreibstörung.
  • Sekundärsymptome, die aufwändige Zusatzförderungen notwendig machen, können erst gar nicht entstehen.
  • Die Motivation, spielerische Übungen im Kindergarten durchzuführen, ist ungleich höher, als später in der Schule an einer gesonderten LRS-Förderung teilzunehmen.
  • Es liegt noch kein schulischer Leistungsdruck vor.
  • Letztendlich kommen auch ökonomische Gesichtspunkte zum Tragen, wenn Therapien von Lese-Rechtschreibstörungen, LRS-Intensivmaßnahmen usw. bei vielen Kindern durch eine effiziente Frühförderung vermieden werden können.


 

Die avisierte Entwicklung der LRS-Förderung

Die avisierte Entwicklung der LRS-Förderung von LRS-Therapien zur verstärkten (frühen) Prävention kann (in idealisierter Form) folgendermaßen dargestellt werden.

 

 

Förderzeitpunkte und Förderaufwand. Je früher die Förderung einsetzt (obere Ebene), desto geringer ist der Bedarf an außerschulischer Förderung bei älteren Kindern (untere Ebene, rechte Spalte) und damit an Eingliederungshilfe nach § 35a KJHG. Die Blöcke in den drei Spalten symbolisieren die Entwicklung bei den LRS-Hilfsmaßnahmen in den letzten 20 Jahren, von fehlender Frühförderung (linke Spalte) über die schulische Frühförderung (mittlere Spalte) zur avisierten Frühförderung im Kindergarten (rechte Spalte).
Vereinfachte Darstellung nach: Beckenbach (2000)

Anmerkung 1: Die Darstellung soll in idealisierter Weise die angestrebte Entwicklung zu einer verstärkten (spielerischen) Frühförderung in den Bereichen Kindergarten, Vorschule und Schule darstellen und berücksichtigt daher nicht die wichtigen Beiträge von Erziehungsberatungs- und Frühförderstellen, logopädischen Praxen usw. im Vorschulbereich.

Anmerkung 2: Das Schleswig-Holsteinische Sprachheilkonzept geht über diese angestrebte Entwicklung hinaus. In diesem Konzept ist (bei Bedarf) eine Förderung der phonologischen Bewusstheit (im weiteren Sinne) bereits nach dem Eintritt in den Kindergarten vorgesehen.


 

Die Feststellung eines Förderbedarfs im Vorschulalter

Das Bielefelder Screening zur Früherkennung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten (BISC; Jansen et al., 1999) erlaubt die zuverlässige Identifikation von Vorschulkindern, die Gefahr laufen, beim späteren Schriftspracherwerb Probleme zu entwickeln. Das Verfahren besteht aus Aufgaben zur phonologischen Bewusstheit, Aspekten des Kurz- und Langzeitgedächtnisses und zur visuellen Aufmerksamkeitssteuerung. Es besteht aus relativ leichten Aufgaben zu diesen Bereichen und hat die Funktion eines „Grobsiebes“, in dessen Maschen lediglich die so genannten „Risikokinder“ – qualifiziert durch Risikopunkte in den einzelnen Aufgabengruppen – verbleiben. Das Screening ist zehn bzw. vier Monate vor der Einschulung einsetzbar und wird in Frühdiagnose- und Förderstellen, Beratungsstellen etc. von pädagogisch-psychologischem Fachpersonal durchgeführt.


Risikokinder für Lese-Rechtschreibschwierigkeiten können sodann mit den Trainingsprogrammen zur phonologischen Bewusstheit auf spielerische Weise erfolgreich gefördert werden.


 

Die Durchführung des Gruppentrainings nach dem Arbeitsbuch Hören, lauschen, lernen

Die spielerische Förderung durch das Gruppentraining mit dem Arbeitsbuch Hören, lauschen, lernen wird bereits in vielen Kindergärten von Erzieherinnen durchgeführt. (Das Arbeitsbuch geht nach seinem Erscheinen im Jahr 1999 jetzt schon in die 3. Auflage.)
Das Training erfolgt im letzten Kindergartenhalbjahr in täglichen Sitzungen von ca. 10 Minuten in einem separaten Raum des Kindergartens und dauert insgesamt 20 Wochen. In einem detaillierten Trainingsplan ist genau festgelegt, welche Spiele aus den sechs aufeinander aufbauenden Übungseinheiten an welchen Tagen gespielt werden. Man beginnt mit den Lauschspielen und kommt dann über das Reimen, die Spiele mit Sätzen und Wörtern, mit Silben und Anlauten zum wichtigsten und auch umfangreichsten Teil: den Spielen mit Phonemen (Lauten). Gerade die Spiele zur Phonemsynthese und Phonemanalyse stellen die kritschen Voraussetzungen für das Lesen- und Schreibenlernen dar und es ist deshalb besonders wichtig, die Kinder bis zum Ende des Trainings bei der Stange zu halten. Wichtig bei der Durchführung des Trainings ist vor allem die Förderung „schwächerer“ Kinder. Der spielerische Charakter des Programms soll ihnen nicht nur Einblick in die Welt der Laute geben, sondern auch Freude im Umgang mit der Sprache vermitteln.

Die Durchführung der einzelnen Spiele ist im Arbeitsbuch beschrieben und es ist keine zusätzliche Ausbildung dafür erforderlich. Als Arbeitsmaterial werden Bildkarten benötigt, die in einer Box separat erhältlich sind.


 

Protokoll einer „Trainingssitzung“

Kindertagesstätte der AWO in Heidelberg-Bergheim
Durchführung des Trainings in zwei Gruppen zu jeweils 8 Kindern; 9.30 – 10.00
Es besteht die Möglichkeit, mit einzelnen Kindern zusätzlich die Multimediaspiele durchzuführen. (PC im Raum der Leiterin der Kita.)

10. Trainingswoche, Dienstag. Spiele laut Trainingsplan (Küspert & Schneider, 1999, S. 27): 5.8 Letzter Laut; 2.3 Frei Reimen

Dienstag, 13.03.2001, 9 Uhr 30
Die Erzieherin holt die Kinder der ersten Trainingsgruppe. 5 Kinder sind anwesend; 3 Kinder fehlen. Die Kinder verstecken sich erst einmal im Raum und müssen gesucht werden. Dann setzen sie sich im Halbkreis um die Erzieherin.

Erzieherin: Heute müsst ihr genau aufpassen Kinder, denn wir machen wieder etwas Neues. Wir suchen jetzt nicht den ersten, sondern den letzten Laut. Z.B. bei dem Wort Haus. Könnt ihr den letzten Laut hören? Hau – sss! Versucht es erst einmal alle zusammen.
Kinder: Zwei Kinder sagen den Laut „s“. Die anderen hören erst hin. Dann sagen sie alle im Chor „sss“.
Erzieherin: Prima, „sss“. Der letzte Laut von Hau - sss ist „sss“. Machen wir es erst mal zusammen. Ofen. Was ist der letzte Laut von Ofennn?
Kinder: Einige Kinder sagen „nn“. B. sagt „O“.
Erzieherin: Nicht den ersten Laut, B.! Den letzten: Ofennn.
Kinder: Die Kinder sagen im Chor „nnn“. B. hört erst zu und sagt dann noch einmal mit den anderen zusammen „nnn“.
Erzieherin: Prima. Bei Ofennn hört man hinten ein „nnn“. Wie ist es bei Igel? Igelll!
Kinder: Einige sagen im Chor „l“. Die anderen hören erst zu und wiederholen dann mit den anderen zusammen: „l“.
Erzieherin: Prima, „l“. Igelll hat hinten ein „lll“. Jetzt darf jeder einmal. Die B. darf anfangen. Afrikaaa.
B.: (spricht das Wort leise nach; einige andere Kinder versuchen es ebenfalls) Afrika - ka.
Erzieherin: Hör noch einmal genau hin. Du hast die zwei letzten Laute gesagt. Da ist hinten noch ein einzelner: Afrikaaa – kaaa.
B.: Kaa. (Die anderen Kinder sagen ebenfalls „a“).

[Jedes der fünf Kinder bekommt zwei Wörter. Die Kinder sprechen das Wort leise nach und vrsuchen den letzten Laut zu finden. Im ersten Versuch nennen sie öfter die letzten beiden Laute.]

Erzieherin: So, jetzt versuchen wir noch einige Reime. M., du darfst zuerst. Was reimt sich auf Haus?
K. (überlegt kurz): Saus.
Erzieherin: Prima, was reimt sich noch? – Was für ein Tier gibt es oft im Haus?
K.: Maus.
Erzieherin: Prima, kennst du noch ein Wort?
K.: Baus - raus.
Erzieherin: Prima, jetzt der W. -- Mutter.
W.: Sutter.
Erzieherin: Was gibt es noch? --- Wie sagt man auch zu einem Schiff?
W.: Kutter

[Jedes Kind erhält zwei Beispiele und nennt einige Reimwörter dazu. Die Kinder nennen sehr oft Phantasiewörter. Die sind ebenfalls richtig, denn bei dem Spiel kommt es nur darauf an, dass es sich reimt. Nur wenige der genannten Antworten reimen sich nicht. (Das Spiel 2.3 und andere Spiele mit ähnlichen Reimwörtern wurde in den ersten 10 Wochen bereits häufiger gespielt.)]

Ca. 9 Uhr 45:
Das Training mit der ersten Gruppe ist beendet. Die Kinder rennen wieder zurück in die anderen Räume und die Erzieherin holt die Kinder der zweiten Gruppe. Mit dieser Gruppe macht sie die gleichen Spiele wie mit der ersten Gruppe. Gegen 10 Uhr ist das Training mit den beiden Gruppen beendet.
Insgesamt vier Kinder dürfen dann noch (mit einem Praktikanten zusammen) Spiele am Computer wiederholen. Es sind zwei Kinder mit längeren Fehlzeiten in der Vorwoche und ein Kind (W.), das sich mit den Beispielen im Gruppentraining schwer tut. Ein weiteres Kind (B.) will unbedingt auch noch am Computer spielen. Mit jedem der Kinder wird zunächst das Lauschspiel Hundegeschichte gespielt (- die Kinder müssen Wau rufen, wenn sie in der Geschichte das Wort Hund hören - ) und dann die Einführung und das Spiel von 5.2 Sachen finden aus der Übungseinheit Anlaute. Jedes Kind spielt ca. 10 Minuten. Bis auf W. kommen die Kinder gut mit den Anlauten zurecht. W. sollte das Spiel noch einmal wiederholen. (Das wird im Protokoll zur Durchführung der Multimediaspiele vermerkt.)


 

Die Unterstützung des Gruppentrainings durch die Multimediaspiele

Bei der Durchführung des Gruppentrainings nach dem Arbeitsbuch im Regelkindergarten, in Sprachheilkindergärten oder in Vorschulen können die Multimediaspiele begleitend eingesetzt werden, wenn die Einrichtung über einen geeigneten PC verfügt. Die Spiele mit dem Hamster können die Kinder zusätzlich motivieren und eine willkommene Bereicherung des Trainings darstellen. Sie können das in der Gruppe Gelernte mit einem anderen Medium zusätzlich üben. Die vielen in den einzelnen Spielen verwendeten Beispiele bieten sowohl die Möglichkeit zur Wiederholung mit den in der Gruppe geübten Beispielen als auch zum Üben mit neuen Beispielen.

Die Multimediaspiele können dabei dazu dienen, einzelne Kinder, die sich mit dem Lauschen, dem Reimen, dem Silben trennen usw. schwer tun, zusätzlich intensiver zu fördern. Zwar sollten Sie sich auch bei der Durchführung des Gruppentrainings immer an den schwächeren Kindern orientieren, aber dies ist immer nur in Grenzen möglich. Die schwächeren Kinder benötigen oft sehr viel mehr Übungsbeispiele und damit auch sehr viel mehr Zeit, als das nach dem Trainingsplan für die Gruppe möglich ist, um das jeweilige Lern- bzw. Förderziel eines Spiels bzw. einer Übungseinheit zu erreichen und auf den Übergang zur nächsten Stufe/Übungseinheit gut vorbereitet zu sein.

Natürlich muss eine solche zusätzliche Förderung nicht jeden Tag und nicht zu jedem Spiel des Gruppentrainings erfolgen. Die Anwenderinnen können selbst entscheiden, bei welchen Spielen und bei welchen Kindern dies sinnvoll ist.


 

Die Fortführung des Würzburger Trainingsprogramms durch das Sprachprogramm der Buchstaben – Laut – Verknüpfung (insbesondere bei Risikokindern)

Insbesondere bei Kindern mit Defiziten in der phonologischen Bewusstheit kann das Training bis zur Einschulung der Kinder noch mit dem Sprachprogramm zur Buchstaben-Laut-Verknüpfung fortgeführt werden. Wenn dies im Kindergarten nicht möglich ist, kann diese Fortführung des Trainings mit der Multimediaversion auch durch die Eltern erfolgen. Die Erzieherinnen sollten bei der Durchführung des Würzburger Trainings immer auf Kinder achten, die sich mit den Sprachspielen schwerer tun als die anderen Kinder. Mit dem Bielefelder Screening (BISC) kann man 4 Monate vor der Einschulung zusätzlich noch abklären, ob ein weiterer Förderbedarf besteht. Ist dies der Fall, sollte die Möglichkeit der zusätzlichen Förderung auch genutzt werden. In den wissenschaftlichen Untersuchungen zum Training der phonologischen Bewusstheit bei Vorschulkindern hat sich gezeigt, dass auch Risikokinder bei einem kombinierten Training der phonologischen Bewusstheit und der Buchstaben-Laut-Verknüpfung noch sehr viel mehr profitieren als von einem Training allein.


 

1.3 Modellprojekte und Beurteilungen zur Anwendung im Kindergarten

Die Durchführung des Gruppentrainings nach dem Arbeitsbuch hat sich in vielen Kindergärten bereits fest etabliert. Bei den Modellprojekten und Beurteilungen geht es daher vor allem um die noch relativ neue Möglichkeit der Unterstützung der Förderung durch die Multimediaprogramme.

Zur Förderung der phonologischen Bewusstheit im Vorschulalter siehe auch:
„Fördephon: Landesprojekt zur Förderung der phonologischen Bewusstheit (Schleswig-Holstein)"




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