Die Würzburger Untersuchungen zur Förderung der phonologischen Bewusstheit bei Kindergartenkindern

Überblick:

 

Die Ende des 20. Jahrhunderts einsetzenden Forschungstätigkeiten im Bereich der frühen Prävention von Lese- und Rechtschreibproblemen haben gezeigt, dass der Schuleintritt nicht die Stunde Null für den Schriftspracherwerb darstellt. Bereits vor der Einschulung unterscheiden sich die Kinder enorm hinsichtlich der Vorläufermerkmale, die für den späteren Erfolg beim Lesen- und Schreibenlernen ausschlaggebend sind. Insbesondere aufgrund von Merkmalen der so genannten phonologischen Bewusstheit kann dieser Erfolg schon im Vorschulalter bedeutsam vorhergesagt werden (vgl. Schneider & Näslund, 1993).

Unter phonologischer Bewusstheit versteht man den Einblick der Kinder in die Lautstruktur der gesprochenen Sprache. Sie lässt sich als Bewusstheit um größere sprachliche Einheiten wie Wörter, Silben und Reime (= phonologische Bewusstheit im weiteren Sinne) schon im Kindergartenalter beobachten, und sie zeigt sich im Schulbereich in der Fähigkeit, vorgesprochene Wörter in ihre Lautbestandteile zu zerlegen (= phonologische Bewusstheit im engeren Sinne).


Nachdem die Bedeutung der phonologischen Bewusstheit als Vorläufermerkmal für das Lesen und Schreiben belegt war, schloss sich die Frage an, ob sich die phonologische Bewusstheit schon im Vorschulalter fördern lässt und ob durch eine solche vorschulische Förderung dann auch späteren Lese-Rechtschreibproblemen vorgebeugt werden kann.


Eine der ersten überzeugenden Längsschnittuntersuchungen einer Arbeitsgruppe um den schwedischen Forscher Lundberg erbrachte hierzu folgende Nachweise: Die phonologische Bewusstheit ließ sich bei Vorschulkindern, die keinerlei Schriftsprachkenntnisse hatten, fördern und die so geförderten Kinder waren einer nicht trainierten Kontrollgruppe bis zum Ende der Grundschulzeit im Lesen und Rechtschreiben signifikant überlegen.


In Anlehnung an dieses Programm von Lundberg hat die Arbeitsgruppe unter der Leitung von Prof. Wolfgang Schneider am Psychologischen Institut der Universität Würzburg ein entsprechendes Trainingsprogramm für den deutschen Sprachraum entwickelt. Dieses Würzburger Trainingsprogramm zur phonologischen Bewusstheit besteht aus insgesamt 57 "Sprachspielen" zu sechs inhaltlich aufeinander aufbauenden Übungseinheiten. Das Trainingsprogramm wird im letzten Kindergartenhalbjahr von Erzieherinnen durchgeführt. Es erstreckt sich über insgesamt 20 Wochen mit täglichen ca. 10-minütigen Sitzungen (Küspert & Schneider, 1999).

Beschreibung der Übungseinseinheiten mit Beispielen aus der Multimediaversion des Trainingsprogramms (Demos):

1. Lauschspiele  Spiel 1.4 Wortpaare 1
2. Reime  Spiel 2.2 Wir reimen mit Tiernamen 1
3. Sätze und Wörter  Spiel 3.3 Übungen mit Sätzen und Wörtern
4. Silben  Spiel 4.2 Erst lauschen, dann schauen
5. Anlaute  Spiel 5.3 Achte auf den ersten Laut 1
6. Phoneme  Spiel 6.1 Wie heißt das Wort


Die langfristige Wirksamkeit des Trainingsprogramms wurde in drei groß angelegten Längsschnittstudien überprüft, an denen sich jeweils etwa 200 Kinder in der trainierten Gruppe und jeweils etwa 150 Kinder in den nicht trainierten Vergleichsgruppen (Kontrollgruppen) befanden. Den Studien lag folgender Ablaufplan zugrunde:

Trainingsgruppe

(untrainierte) Kontrollgruppe
Vortest
(Mitte des Vorschuljahres)
Vortest
(Mitte des Vorschuljahres)
Durchführung des Trainings im
Kindergarten (6 Monate)
Kein Training
Nachtest
Ende des Vorschuljahres
Nachtest
Ende des Vorschuljahres
Lese- und Rechtschreibtests in der Grundschule (1., 2., 3. Klasse) Lese- und Rechtschreibtests in der Grundschule (1., 2., 3. Klasse)

In den ersten beiden Studien (1991 - 1994 und 1994 - 1997) konnte belegt werden, dass sich die phonologische Bewusstheit auch im deutschen Sprachraum mit Erfolg trainieren lässt. Die trainierten Kinder waren nachfolgend den nicht trainierten Kindern der Kontrollgruppe im Lesen- und Rechtschreiben signifikant überlegen (vgl. Küspert 1998; Schneider, Roth & Küspert, 1999).


Die dritte Studie ging der Frage nach, ob insbesondere auch so genannte Risikokinder, die gefährdet sind, später Lese- Rechtschreibprobleme zu entwickeln, von dem Training der phonologischen Bewusstheit profitieren. Es wurden von vorneherein Risikokinder ausgewählt (ermittelt über das Bielefelder Screening (BISC; Jansen, Mannhaupt, Marx & Skowronek, 1999)) und einer Stichprobe unausgelesener Kinder in der untrainierten Kontrollgruppe gegenübergestellt. Zusätzlich zum Trainingsprogramm zur phonologischen Bewusstheit wurde in dieser Studie auch das Sprachprogramm zur Buchstaben - Laut - Verknüpfung eingesetzt, bei dem eine spielerische Einführung in die Buchstaben - Laut - Korrespondenzen anhand der 12 häufigsten Buchstaben unserer Sprache erfolgt. Es resultierten dann für die "Risikokinder" drei Trainingsgruppen:

 Gruppe 1: Training der phonologischen Bewusstheit
 Gruppe 2: Kombinationstraining: Training der phonologischen Bewusstheit und Buchstaben - Laut - Training
 Gruppe 3: Buchstaben - Laut - Training

Waren bei diesem Design die trainierten (Risiko-)Kinder im Vortest der unausgelesenen Kontrollgruppe noch signifikant unterlegen, so zeigten die Befunde der ersten drei Schuljahre dann, dass insbesondere die ehemaligen Risikokinder, die das Kombinationstraining erhalten hatten, sich im Lesen und Schreiben nicht mehr signifikant von der Kontrollgruppe unterschieden (vgl. Roth, 1999; Schneider, Roth & Küspert, 1999).


Betrachtet man die Alltagsrelevanz einer Fördermaßnahme, kann ein Training etwa dann als effektiv bezeichnet werden, wenn die im Kindergarten identifizierten Risikokinder im Rechtschreibtest nicht zu den untersten 25% des gesamten Leistungsspektrums gehören. Dies ließ sich für die mit dem kombinierten Training geförderten Kinder bis zum Ende des zweiten Schuljahres nachweisen.


 

 

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